„Es gibt nicht nur die Welt der Apps“ – Interview mit Dr. Christine Feil zu Apps und mobilen Internetseiten für Kinder

„Es gibt nicht nur die Welt der Apps“ – Interview mit Dr. Christine Feil zu Apps und mobilen Internetseiten für Kinder

Blogbeitrag vom

Im März 2014 ging die Datenbank: Apps für Kinder des Deutsches Jugendinstitut e.V. (DJI) online, die unter der Adresse www.datenbank-apps-fuer-kinder.de erreichbar ist. Besprochen und bewertet werden Apps, produziert für Kinder im Alter zwischen 2 und 10 Jahren. Die Rezensionen von mittlerweile über 275 Apps haben zum Ziel, Eltern und pädagogisches Fachpersonal über die Vielfalt und Qualität der Angebote zu informieren. Die Datenbank wird im DJI-Projekt „Digitale Medien in der Lebenswelt von Klein- und Vorschulkindern“ in Kooperation mit dem Blickwechsel e. V., klick-tipps.net und der Stiftung Lesen erstellt und kontinuierlich erweitert. Im Interview mit wir-machen-kinderseiten beantwortete Dr. Christine Feil (DJI) verschiedene Fragen zum Hintergrund des Projekts und zu Apps im Allgemeinen sowie zur Frage, ob es sich für Seitenbetreiber lohnt, „eine App zur Internetseite“ entwickeln zu lassen.

 

wmk Frau Feil, nach welchen Kriterien beurteilen Sie und Ihr Team die Apps?

Die App Martin Luthers Abenteuer von kirche-entdecken.deChristine Feil Das erste Kriterium ist formaler Natur, es hat mit der Transparenz der Angebotsstruktur zu tun. Nämlich, kann man überhaupt feststellen, von wem die App ist, denn das ist leider nicht immer der Fall. Es werden also zunächst die formalen Daten erfasst, wie Titel, Adresse des Anbieters und des Entwicklers, Betriebssystem und Versionsnummer. Dazu zählt auch das Geschäftsmodell: ist die App kostenlos oder kostenpflichtig, ist sie werbefinanziert oder muss sie über In-App-Käufe erst vervollständigt werden. Ein weiteres Kriterium ist: Entspricht die App der Zielgruppe? Wir schauen, ob sie altersgerecht aufgebaut ist, also ob die Themen wirklich lebensweltbezogen sind und die Navigation so aufgebaut ist, dass Kinder die App nicht nur mit den Eltern, sondern auch selbständig nutzen können. Die Inhalte und die Gestaltung spielen natürlich auch eine Rolle, wobei man vermeiden muss, dass sich Geschmacksurteile einbinden, was natürlich schwierig ist. Dazu ist aber eine professionelle Distanz dringend nötig. Die Apps werden in der Regel für den internationalen Markt produziert und das heißt auch, dass viele Apps, die in den Stores verkauft werden, ihren Ursprung im Ausland haben. Ein Kriterium ist deshalb zum Beispiel auch: Stimmt die Übersetzung? Ein Hauptpunkt bei der App-Bewertung ist natürlich der Kinder- und Jugendschutz. Und auch diese Sache ist vor dem Hintergrund der relativ offenen Rechtslage schwierig zu beurteilen. Zum Beispiel, viele Apps haben sogenannte In-App-Käufe, was aus pädagogischer Perspektive im Zusammenhang mit der Zielgruppe Kinder nicht vertretbar ist. Da die Produzenten aus verschiedenen Gründen trotzdem daran festhalten, haben die Stores, insbesondere Apple, mit einem „Kinderbereich“ darauf reagiert. Den Produzenten ist unter anderem eine Kindersicherung auferlegt worden. Genauer heißt das, es ist eine Sperre zwischen der App und dem Store für die Kinder installiert. Es erscheinen Aufforderungen wie „Drücke drei Sekunden lang, streiche nach rechts, streiche nach links, oben oder unten, drücke auf ein Sternchen, wie viel ist drei plus drei...“ und so weiter, bei denen man davon ausgeht, dass die Kinder sie nicht lesen können. Das ist im Augenblick der Stand der Dinge und man muss ihn akzeptieren. Leider heißt das, dass viele Kindersicherungen sehr kinderfreundlich gestaltet sind.
Bei uns bleibt derzeit der Datenschutz als Bewertungskriterium außen vor und zwar aus dem Grund, weil einfach nicht kontrollierbar ist, an welcher Stelle nun welche Daten erhoben werden oder nicht. Manche Apps haben zwar eine Datenschutzerklärung innerhalb der App, auf der Anbieter-Website oder Vertriebsplattform bzw. im Store eingebunden. Man kann dort zwar nachschauen, aber man weiß nicht wirklich, was passiert – insbesondere auch dann, wenn man für das Funktionieren einer App den Zugriff auf die Kamera, das Fotoalbum, das Mikrofon im eigenen Gerät erlauben muss. Deshalb fände ich es vermessen, ein Urteil über den Datenschutz oder die Datensicherheit abzugeben.

 

wmk Was macht für Sie eine richtig gute App aus?

Christine Feil: Persönliche Empfehlungen für spezielle Apps kann ich hier natürlich nicht abgeben, weil ich da neutral bleiben will. Allgemein kann ich sagen, für jüngere Kinder finde ich Apps gut, die nicht nur rezeptiv angelegt sind. Viele Bilderbuch-Apps sind zum Beispiel total langweilig, weil man zwar tippen oder wischen, aber nichts selbst gestalten kann. Aber es gibt auch Apps, bei denen die Kinder selbst kreativ werden und zum Beispiel Tiere zusammensetzen können. Manche Apps sind auch didaktisch sehr gut aufgebaut. Auch besondere und witzige Illustrationen heben eine App aus der Masse heraus. Aber Kinder haben da natürlich ihre eigenen Vorlieben. Und die Vorlieben gerade der älteren Kinder orientieren sich einfach stark an den Medien- und Spielzeugmarken, die sie kennen, und insbesondere auch an den Hitlisten. Das heißt, sie spielen Unterhaltungsspiele-Apps, die auch von Erwachsenen gespielt werden, mit all den Risiken, die damit verbunden sind. Das muss man einfach auch akzeptieren. Deswegen sehen wir den Sinn der Datenbank nicht darin, zu sagen, diese Apps sind prinzipiell schlecht. Darum geht es nicht. Sondern es geht darum, den Eltern gegenüber klarzustellen, welche Risiken sie eingehen, wenn sie ihre Kinder damit umgehen lassen. Es ist meistens das Kriterium des Kinder- und Jugendschutzes, das durchschlägt, wenn eine App in der Bewertung nach unten rutscht. Das heißt nicht, dass die Inhalte deswegen automatisch schlecht sind, sondern, dass die Risiken, die mit der App-Nutzung einhergehen, hoch sind. Wichtig ist, dass eine App auch immer eine Herausforderung an die Kinder stellt. Wenn sie nach einmal Durchschauen schon keinen Reiz mehr hat, sind auch 0,89 € schon zu viel Geld. Und es ist nicht so einfach, Kinder wirklich kontinuierlich herauszufordern.

 

wmk Was denken Sie, wie sich der App-Markt weiterentwickeln wird?

Die App "Die Ampelinis" vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. Christine Feil: Ich denke, der Markt wird sich so gestalten, dass die kleinen Anbieter verschwinden und die großen Anbieter überleben werden. Für Verlage und Firmen, die mehrere Sparten haben, ist es einfacher, weil sie nicht nur auf den Verkauf von Apps angewiesen sind und diese zumindest eine Zeit lang querfinanzieren können. Ich denke auch, dass es sehr schwer ist, Kinder-Apps zu produzieren und die dann auch zu verkaufen. Selbst Marktforscher sagen, es lohnt sich nicht, denn die Zielgruppe ist zu klein und zu differenziert. Die Produzenten wollen aber trotzdem, und denken, sie werden das schon irgendwie schaffen. Einen großen Einfluss darauf haben natürlich auch die Stores über die Platzierung der Apps zum Beispiel als App der Woche oder im Kinderbereich. Wenn die Vertriebsplattformen mal in Sachen Recherchierbarkeit von Apps umstrukturiert würden, wäre es für viele Anbieter einfacher, mit ihrem Produkt auch gefunden zu werden. Man hört gerade von kleinen Produzenten immer wieder, wie schwierig es ist, wahrgenommen zu werden.

 

wmk Wie unterscheiden sich die harten und weichen Kriterien in der Bewertung von Apps und von Internetseiten für Kinder?

Christine Feil: Was die formalen Kriterien betrifft, ist der Unterschied der, dass eine Website ein eindeutiges Impressum vorzuweisen hat, zumindest, wenn die Server in Deutschland liegen. Es ist also klar, wer für den Inhalt verantwortlich ist. Bei einer App ist das nicht so, ausgenommen, die App braucht eine Online-Anbindung. Bei vielen Apps kann man somit nicht feststellen, wer dafür verantwortlich ist und von wem sie kommen. Der App-Markt ist ja auch gerade im Umbruch, sodass viele kleinere Firmen von größeren Publishern übernommen werden. Und da ist es dann noch schwerer nachzuvollziehen, von wem das Produkt überhaupt kommt.
Was die Bewertung betrifft ist klar, dass eine gute Internetseite für Kinder, die externe Links hat, mit einer zwischengeschalteten Seite darauf hinweist („Du verlässt jetzt ...“). Außerdem sollte sie nur auf andere kindergeeignete Internetseiten verlinken. Bei den Apps ist das Problem, wenn es Links gibt, gehen diese auf die Seiten der Anbieter, in den App Store und zu den Social Media – also zu Seiten, die nicht für Kinder geeignet sind. Es gibt jetzt eine Zwischenlösung, das sind die bereits erwähnten „Kindersicherungen“, die aber häufig unzureichend sind, weil sie aus Gründen des App-Designs recht kindgerecht gestaltet werden. Außerdem gibt es noch einen Unterschied, was die Aktualität betrifft. Die meisten Internetangebote werden ständig aktualisiert. Dieses Kriterium der Aktualität kann man aber bei einer App überhaupt nicht anlegen. Einfach, weil eine Kinderapp, bis auf wenige Ausnahmen, ein in sich geschlossenes Spiel bzw. Lernangebot und somit eher mit einer CD-ROM als mit einer Website vergleichbar ist. Ob diese Unterschiede nach und nach aufweichen ist nicht abzusehen. Zusammenfassend kann man sagen, dass Apps und Internetseiten für Kinder sehr unterschiedlich strukturierte Angebote sind. Auch die Zielgruppe ist bei den Internetseiten sehr viel breiter als bei den Apps.

 

wmk Für welche Kinderseiten macht die Entwicklung einer App Sinn? Für welche nicht?

Christine Feil: Ich denke, eine Internetseite sollte heute so programmiert sein, dass sie im Browser des Tablets und Smartphones problemlos angesehen werden kann. Das ist wichtig, weil heute viele Internetseiten über mobile Endgeräte angeschaut werden. Eine App zur Internetseite halte ich derzeit  – im Unterschied zu vielen anderen – für überflüssig. Wenn man will, dass Kinder das Internet kennen und recherchieren lernen, kann dies mit einer App als in sich geschlossene Welt nicht erreicht werden. Außerdem ist es in der Praxis so, dass nicht die gesamte Kinderinternetseite app-tauglich gemacht wird, sondern nur Teile von ihr: Die Apps zur Internetseite sind einzelne (Lern-)Spiele, die ich auf dem Tablet spielen kann, die aber aus dem Gesamt- bzw. Bildungskontext der Internetseite herausgenommen sind, was schade ist. Denn die Garantie, dass die Kinder sich zur App auch die Internetseite anschauen, hat man nicht. Vielleicht wird man im Moment als App-Angebot leichter wahrgenommen denn als Internetseite. Aber allein die Kosten sollten schon zu denken geben. Im Prinzip muss man die App ja dreimal – für iOS, Android und Windows – programmieren lassen. Lieber sollten die Seitenbetreiber das Geld in ihre Seite stecken, um diese zu optimieren, aktuell zu halten und neue Ideen zu realisieren. Letztendlich darf man einfach nicht vergessen, dass Tablets auch dazu da sind, Internetangebote zu nutzen, es gibt nicht nur die Welt der Apps.

 

Teile des Interviews erschienen bereits in merz | medien+erziehung Heft 3 2014.